Vierzehnter Canto
Die Weltseele
Eine verdeckte Antwort kam auf sein Suchen hin.
In einem fern schimmernden Hintergrund des Mentalraumes
Ward ein glühendes Mundloch zu sehen, ein leuchtender Schacht;
Ein Klausner-Tor schien es zu sein, über Freude sinnend,
Ein verschleierter Rückzug und Flucht ins Mysterium.
Weg von der unbefriedigten Außenwelt
Entwich es in den Schoß des Unbekannten,
Eine Quelle, ein Tunnel zu den Tiefen Gottes.
Es tauchte, gleichsam einer geheimnisvollen Furche von Hoffnung,
Durch viele Schichten form- und stimmlosen Selbstes,
Um den letzten Grund des Herzens der Welt zu erreichen,
Und aus jenem Herzen erhob sich ein wortloser Ruf,
Anflehend ein stilles undurchdringliches Mental,
Äußernd ein inbrünstig ungesehenes Verlangen.
Als winke ein Finger der Heimlichkeit
Ausgestreckt in eine Luft von kristallner Stimmung,
Auf ihn weisend aus einer unweit verborgenen Tiefe,
Als wäre es eine Botschaft aus der tiefen Seele der Welt,
Ein Anzeichen von lauernder Freude,
Die aus einem Kelch sinnender Seligkeit floss,
So schimmerte dort, sich hineinstehlend in das Mental,
Eine stumme und zitternde Ekstase von Licht,
Eine Leidenschaft und Zartheit von rosigem Feuer.
Wie ein zu seiner verlorenen spirituellen Heimat Gezogener
Nun die Nähe wartender Liebe verspürt,
So wanderte er durch einen schummrigen und zittrigen Gang,
Der ihn vor der Verfolgung von Tag und Nacht behütete,
Geführt von einem geheimnisvollen Klang.
Ein Murmeln, mannigfaltig und einzeln,
Alle Töne im Wechsel, und doch immer gleich.
Ein versteckter Aufruf zu ungeahnter Wonne
In der auffordernden Stimme eines lang Gekannten, Geliebten,
Doch namenlos dem sich nicht mehr erinnernden mentalen Geist,
So zog es das nachlässige Herz zur Verzückung zurück.
Der unsterbliche Ruf verzückte das eingefangene Ohr.
Dann, dämpfend sein gebieterisches Mysterium,
Sank es zu einem Raunen, das die Seele umkreiste.
Es schien die Wehmut einer einsamen Flöte zu sein,
Die da entlang streifte an den Ufern der Erinnerung
Und die Augen mit Tränen sehnsüchtiger Freude füllte.
Eines Heimchens einziger Laut, rasch und feurig,
Erfüllte mit seiner schrillen Melodie die mondlose Stille der Nacht
Und schlug auf einen Nerv von mystischem Schlaf
Seinen hohen eindringlich magischen Weckruf.
Ein klingelnd Silberlachen von Fußglöckchen
Bereiste die Straßen eines einsamen Herzens;
Sein Tanz tröstete eine ewige Einsamkeit:
Schluchzend kam eine alte vergessene Süße.
Oder vernommen aus einer harmonischen Ferne
Schien es bisweilen das bimmelnde Schreiten einer langen Karawane,
Oder die Hymne eines ungeheuren Waldes,
Die feierliche Mahnung eines Tempelgongs,
Ein honigtrunkenes Bienensummen auf Sommerinseln,
Glühend vor Ekstase in der Mittagsschläfrigkeit,
Oder der ferne Lobgesang eines Pilgermeeres.
Weihrauch schwebte in der zitternden Luft,
Ein mystisches Glück erbebte in der Brust
Als wäre der unsichtbare Geliebte gekommen,
Die unerwartete Lieblichkeit eines Gesichts annehmend,
Und frohe Hände könnten seine flüchtigen Füße ergreifen
Und die Welt verändern mit der Schönheit eines Lächelns.
Er kam in ein wunderbares körperloses Reich,
Die Heimat einer Passion ohne Namen oder Stimme,
Eine Tiefe spürte er, antwortend jeder Höhe,
Ein Schlupfwinkel ward gefunden, der alle Welten umfassen konnte,
Eine Stelle, die bewusster Knotenpunkt des Raumes war,
Eine ewige Stunde in dem Herzen der Zeit.
Die stille Seele der ganzen Welt war dort:
Eine Wesenheit lebte, eine Präsenz und eine Macht,
Eine einzige Person, die sie selbst und alles war
Und den süßen und gefährlichen Puls der Natur umhegte,
Verklärt in ein Pulsieren, göttlich und rein.
Zu lieben fähig ohne Anspruch auf Liebe,
Dem Schlimmsten begegnend und es zum Besten wendend,
Heilte sie die bitteren Grausamkeiten der Erde,
Alle Erfahrung in Wonne umwandelnd;
In die sorgenvollen Wege der Geburt eingreifend,
Schaukelte sie die Wiege des kosmischen Kindes
Und stillte alles Weinen mit ihrer Hand der Freude;
Sie führte alles Böse seinem geheimen Guten zu,
Sie kehrte gequälte Falschheit in frohe Wahrheit;
Ihre Macht war, Göttlichkeit zu enthüllen.
Unendlich, gleichaltrig mit dem Geist Gottes,
Trug sie in sich eine Saat, eine Flamme,
Eine Saat, daraus der Ewige neu ersteht,
Eine Flamme, die in Sterblichem den Tod aufhebt.
Alles ward allem verwandt und es selbst und nah;
Die Vertrautheit Gottes war überall,
Kein Schleier war zu spüren, keine grobe schwerfällige Barriere,
Entfernung konnte nicht trennen, Zeit konnte nicht verändern.
Ein Feuer der Leidenschaft brannte in Geisttiefen,
Ein steter Hauch von Süße verband alle Herzen,
Der selige Pulsschlag einziger Anbetung
In einem verzückten Äther unvergänglicher Liebe.
In allem wohnte ein inneres Glück,
Ein Gefühl von allumfassenden Harmonien,
Eine unermesslich sichere Ewigkeit
Von Wahrem, Schönem, Gutem und Freudvollem, die eins sind.
Hier war der hervorsprudelnde Wesenskern des endlichen Lebens;
Ein formloser Geist ward zur Seele der Form.
Alles dort war Seele oder bestand aus reinem Seelenstoff;
Ein Himmel aus Seele bedeckte einen tiefen Seelengrund.
Alles hier ward erkannt durch einen spirituellen Sinn:
Denken gab es nicht, aber ein Wissen nah und eins
Nahm alle Dinge wahr durch eine bewegte Wesenseinheit,
Eine Sympathie des Selbstes mit anderen Selbsten,
Die Berührung von Bewusstsein mit Bewusstsein
Und des innersten Blickes Schau von Wesen auf Wesen,
Herz dem Herzen offen ohne Mauern der Sprache,
Die Einmütigkeit von sehenden mentalen Geistern
In Myriaden Gestalten, strahlend von dem einen Gott.
Leben gab es dort nicht, aber eine leidenschaftliche Kraft,
Feiner als Feinheit selbst, tiefer als die Tiefen,
Gefühlt als eine subtile und spirituelle Macht,
Ein Vibrieren von Seele zu antwortender Seele,
Eine mystische Regung, ein unmittelbarer Einfluss,
Ein offenes und freudiges und inniges Nahen
Von Wesen zu Wesen, ohne Abschirmung oder Überprüfung,
Durch das erst Leben und Liebe möglich sind.
Körper gab es dort nicht, denn Körper wurden nicht gebraucht,
Die Seele selbst war ihre eigene todlose Form
Und begegnete sogleich der Berührung anderer Seelen,
Nah, glückselig, konkret, wunderbar wahr.
Wie wenn man im Schlafe durch lichte Träume geht
Und, voll bewusst, die wahre Bedeutung ihrer Figuren kennt,
So erkannte er, hier wo die Wirklichkeit ihr eigener Traum war,
Die Dinge an ihrer Seele und nicht an ihrer Gestalt:
Wie jene, die lange in Liebe vereint gelebt haben,
Nicht Wort noch Zeichen brauchen für des Herzens Erwiderung,
So verkehrte er ohne die Schranke der Sprache
Mit Wesen, die unverschleiert waren von einer materiellen Hülle.
Es war eine seltsam spirituelle Landschaft,
Eine Lieblichkeit von Seen und Flüssen und Hügeln,
Ein Fließen, eine Festigkeit in einem Seelenraum,
Von Ebenen und Tälern, Gefilden der Seelenfreude,
Von Gärten, die Blumenfelder des Geistes waren,
Seine Meditationen malerischer Tagträumerei.
Luft war der Odem einer reinen Unendlichkeit.
Ein Wohlgeruch schweifte in einem farbigen Dunste,
Als hätten sich Duft und Farbe aller süßen Blumen
Vermischt, um des Himmels Atmosphäre nachzuahmen.
Die Seele ansprechend und nicht das Auge,
War Schönheit dort daheim im eigenen Hause,
Alles war dort schön aus eigenem Recht
Und brauchte nicht die Pracht von einem Gewand.
Alle Gegenstände waren wie Körper der Götter,
Ein Geist-Symbol, das die Seele umgab,
Denn Welt und Selbst waren eine einzige Wirklichkeit.
In stumme zwischengeburtliche Trance versunken
Saßen dort Wesen, die einst Gestalt auf Erden trugen,
In leuchtenden Gemächern spirituellen Schlafes.
Durchschritten war das Säulentor von Geburt und Tod,
Durchschritten war ihr kleiner Schauplatz von Symbol-Taten,
Durchschritten waren die Himmel und Höllen ihres langen Weges;
Sie waren zurückgekehrt in die tiefe Seele der Welt.
Gesammelt war alles nun in trächtiger Ruhe:
Person und Natur durchliefen eine Schlummer-Wandlung.
In Trance riefen sie ihr vergangenes Selbst zurück,
Und im Hintergrund entwarf der Erinnerung voraussehend Sinnen,
Kündend eine neue Persönlichkeit,
Die Karte ihres kommenden Schicksalslaufs:
Erben ihrer Vergangenheit, Entdecker ihrer Zukunft,
Wähler ihres eigenen selbstgewollten Loses,
Erwarteten sie das Abenteuer eines neuen Lebens.
Eine Person, beständig durch den Lauf der Welten,
Obwohl immer dieselbe in vielerlei Gestalt
Und für das äußere Mental nicht wiedererkennbar,
Annehmend unbekannte Namen in unbekannten Landen,
Prägt durch die Zeit auf die verschlissene Seite der Erde
Ein werdendes Bild ihres geheimen Selbstes
Und lernt durch Erfahrung das, was der Geist wusste,
Bis sie ihre Wahrheit lebendig sehen kann und Gott.
Und wieder müssen sie sich dem Problemspiel der Geburt stellen,
Der Seele Experiment mit Freude und Leid
Und Denken und Antrieb, die dem blinden Tun leuchten,
Und sich auf die Straßen der Umstände wagen,
Durch innere Vorgänge und äußere Schauplätze hin,
Durch die Formen der Dinge reisend dem Selbste zu.
In das Zentrum der Schöpfung war er gekommen.
Der Geist, der von einer Seinsart zur anderen wandert,
Findet hier das Schweigen seines Ausgangspunktes
In der formlosen Kraft und der stillen Festigkeit
Und der sinnenden Leidenschaft der Welt der Seele.
Alles, was geschaffen und dann wieder aufgehoben wird,
Erschafft die ruhige beharrliche Schau des Einen
Unausweichlich wieder, er lebt erneut:
Kräfte und Leben und Wesen und Ideen
Werden für eine Weile in die Stille genommen;
Dort bilden sie neu ihre Absicht und ihre Richtung,
Prägen ihre Wesensart neu und formen ihre Gestalt um.
Stets wandeln sie sich und sich wandelnd wachsen sie,
Und schreitend durch ein gedeihliches Stadium des Todes
Und nach langem wiederherstellendem Schlafe
Nehmen sie ihren Platz im Arbeitsgang der Götter wieder ein,
Bis ihr Werk vollbracht ist in kosmischer Zeit.
Hier war das formverleihende Gemach der Welten.
Eine Pause wurde zwischen Akt und Akt gelassen,
Zwischen Geburt und Geburt, zwischen Traum und wachem Traum,
Ein Innehalten, das neue Kraft zum Tun und Sein gab.
Jenseits davon waren Regionen von Wonne und Frieden,
Stumme Geburtsorte von Licht und Hoffnung und Liebe,
Und Wiegen himmlischer Verzückung und Ruhe.
In einem Schlummer der Stimmen der Welt
Ward er sich des ewigen Augenblicks gewahr;
Sein Wissen, entblößt von den Gewändern der Sinne,
Wusste durch Wesenseinheit ohne Denken oder Wort;
Sein Wesen sah sich selbst ohne seine Schleier,
Die Linie des Lebens fiel von der Unendlichkeit des Geistes ab.
Entlang einer Straße reinen inneren Lichtes,
Allein zwischen gewaltigen Gegenwarten,
Unter den wachenden Augen namenloser Götter,
Schritt seine Seele voran, eine einzige bewusste Macht,
Dem Ende entgegen, das immer wieder beginnt,
Sich nähernd durch eine Stille, stumm und ruhig,
Dem Ursprung von all dem, was menschlich und göttlich ist.
Dort sah er in der Harmonie ihrer mächtigen Vereinigung
Die Gestalt der todlosen Zwei-in-Einem,
Ein einzig Wesen, umfangen in zwei Körpern,
Eine Doppelherrschaft zwei vereinter Seelen,
Sitzend versunken in tiefer schöpferischer Freude;
Ihre Trance der Glückseligkeit trug die bewegte Welt.
Hinter ihnen stand in einer Morgendämmerung Eine,
Die sie aus dem Unkennbaren hervorgebracht hat.
Stets verkleidet, erwartet sie den suchenden Geist;
Wächterin auf den höchsten unerreichbaren Gipfeln,
Führerin des Wanderers auf den ungesehenen Pfaden,
Sie beschützt die raue Annäherung an den Alleinigen.
Am Anfang einer jeden weitverzweigten Ebene,
Durchdringend mit ihrer Macht die kosmischen Sonnen,
Herrscht sie, Inspiratorin deren vielfältigen Werke
Und Erdenkerin des Symbols deren Schauplatzes.
Sie steht über ihnen allen und stützt sie alle,
Die alleinige allmächtige Göttin, immer verschleiert,
Von der die Welt die unergründliche Maske ist;
Die Zeitalter sind die Fußspuren ihres Schreitens,
Deren Ereignisse das Abbild ihrer Gedanken,
Und alle Schöpfung ist ihr endloser Akt.
Sein Geist ward zum Gefäß ihrer Kraft gemacht;
Stumm in der unergründlichen Passion seines Willens
Streckte er seine zum Gebet gefalteten Hände ihr entgegen.
Dann, als eine souveräne Antwort auf sein Herz,
Kam eine Gebärde wie von hingestreuten Welten,
Und aus dem strahlenden Mysterium ihres Gewandes gehoben,
Teilte ein Arm den ewigen Schleier halb.
Ein Licht erschien, ruhig und unvergänglich.
Angezogen von den großen und leuchtenden Tiefen
Des bezaubernden Rätsels ihrer Augen,
Sah er den mystischen Umriss von einem Gesicht.
Überwältigt von ihrer unerbittlichen Helle und Seligkeit,
Ein Atom von ihrem unermesslichen Selbst,
Bemeistert vom Honig und Blitzstrahl ihrer Macht,
Gespült an die Küsten ihrer Ozean-Ekstase,
Trunken von einem tief goldnen spirituellen Wein,
Stieß er aus der zerrissenen Stille seiner Seele
Einen Schrei der Anbetung und des Verlangens hervor
Und der Hingabe seines grenzenlosen Mentals
Und der Selbstdarbringung seines schweigenden Herzens.
Er fiel ihr zu Füßen ohnmächtig, hingestreckt.
Ende des vierzehnten Cantos