Das Buch vom Yoga
Vierter Canto
Die dreifachen Seelenkräfte
Hier von einem niederen, hingestreckten und schwunglosen Grund
Begann die Passion des ersten Anstiegs;
Ein mondhelles Antlitz in einer dunklen Wolke von Haar,
Saß da eine Frau in einem blass schimmernden Kleid.
Ein zerklüfteter und zerrissener Boden war ihr kahler Sitz,
Unter ihren Füßen ein scharfer und schneidender Stein.
Ein göttliches Erbarmen auf den Gipfeln der Welt,
Ein Geist, berührt vom Kummer alles Lebendigem,
Sie blickte weit hinaus und sah aus innerem Mental
Diese fragwürdige Welt der äußeren Dinge,
Der falschen Erscheinungen und trügerischen Gestalten,
Diesen dubiosen Kosmos, der sich in die unwissende Leere erstreckt,
Die Qualen der Erde, die Mühsal und Eile der Sterne
Und die schwere Geburt und das traurige Ende des Lebens.
Das Universum als ihren Leidenskörper annehmend,
Erduldete die Mutter der sieben Schmerzen
Die sieben Stiche, die ihr blutendes Herz durchbohrten:
Die Schönheit der Traurigkeit verweilte auf ihrem Antlitz,
Ihre Augen waren trüb von der uralten Tränenspur.
Zerrissen war ihr Herz von der Pein der Welt
Und beladen mit dem Kummer und dem Kampf in der Zeit,
Eine gequälte Musik lag in ihrer verzückten Stimme.
Versunken in einer Ekstase von tiefem Mitgefühl,
Hebend den milden Strahl ihres geduldigen Blicks,
Sprach langsam sie in unterweisenden Worten, sanft und lieblich:
„O Savitri, ich bin deine geheime Seele.
Um das Leiden der Welt zu teilen, bin ich gekommen,
Ich ziehe meiner Kinder Qualen in meine Brust.
Ich bin die Pflegerin des Leides unter den Gestirnen;
Ich bin die Seele aller, die sich klagend winden
Unter der erbarmungslosen Egge der Götter.
Ich bin Frau, Amme und Magd und geschlagenes Tier;
Ich verbinde die Hände, die mich grausam schlugen.
Ich diene den Herzen, die meine Liebe und meinen Eifer verschmähten;
Ich bin die umworbene Königin, die verhätschelte Puppe,
Ich bin die Spenderin der Schale mit Reis,
Ich bin der angebetete Engel des Hauses.
Ich bin in allem, was leidet und was weint.
Mein ist das Gebet, das vergebens von der Erde aufsteigt,
Ich bin durchdrungen von den Todesqualen meiner Geschöpfe,
Ich bin der Geist in einer Welt von Schmerz.
Der Aufschrei gemarterten Fleisches und gemarteter Herzen,
Der auf Herz und Fleisch zurückfällt, ungehört vom Himmel,
Hat mir meine Seele zerrissen mit hilflosem Gram und Grimm.
Ich habe den Bauer in seiner Hütte brennen sehen,
Ich habe den zerfetzten Leichnam des geschlachteten Kindes gesehen,
Hörte den Schrei der Frau, geschändet und entblößt und gezerrt
Durch das Gebell einer Rotte Höllenhunde,
Ich sah es, doch zu retten, hatte ich nicht die Macht.
Mir fehlt zum Helfen oder zum Töten der Arm der Stärke;
Gott gab mir Liebe, er gab mir nicht seine Kraft.
Ich teilte die Mühsal des Arbeitstieres unter seinem Joch,
Von dem Stachelstock getrieben, von der Peitsche angespornt;
Ich teilte das angsterfüllte Leben von Vogel und Tier,
Seine lange Jagd nach der ungewissen Nahrung des Tages,
Sein verstohlenes Schleichen und Kauern und hungrigen Streifzug,
Seinen Schmerz und Schreck, gepackt von Schnabel und Klaue.
Ich habe das Alltagsleben der einfachen Menschen geteilt,
Seine kleinen Freuden und seine kleinen Sorgen,
Seinen Druck von Nöten und seine ausgezehrte Horde von Übel,
Der Erde Sorgenschweif ohne Hoffnung auf Linderung,
Die ungewollt öde Arbeit ohne Freude,
Und die Last des Elends und die Schläge des Geschicks.
Ich war Mitleid, über den Schmerz gebeugt,
Und das zarte Lächeln, das heilt ein verwundet Herz,
Und Mitgefühl, das Leben erträglicher macht.
Der Mensch fühlte nah mein ungesehenes Antlitz, meine Hände;
Ich ward der Leidende und sein Stöhnen,
Ich lag darnieder mit dem Verstümmelten und dem Erschlagenen,
Ich lebte mit dem Gefangenen in seiner Kerkerzelle.
Schwer drückt auf meinen Schultern das Joch der Zeit:
Da nichts ich verweigere von der Last der Schöpfung,
Trug alles ich und weiß, ich muss weiter tragen:
Vielleicht, wenn die Welt in einen letzten Schlaf versinkt,
Darf auch ich im stummen ewigen Frieden schlafen.
Ich ertrug die ruhige Gleichgültigkeit des Himmels,
Sah, wie grausam die Natur mit Leidenden war
Und Gott nicht half sondern schweigend weiterging.
Doch habe ich gegen seinen Willen nicht aufbegehrt,
Doch habe ich sein kosmisches Gesetz nicht angeklagt.
Nur um diese große harte Welt des Schmerzes zu ändern
Entstieg ein geduldiges Gebet meiner Brust;
Eine blasse Ergebenheit erhellt meine Stirn,
In mir wohnt ein blinder Glaube und Barmherzigkeit;
Ich trage das Feuer, das nie sich löschen lässt,
Und das Mitgefühl, das die Sonnen stützt.
Ich bin die Hoffnung, die zu meinem Gott schaut,
Meinem Gott, der bis jetzt noch nie zu mir kam;
Ich höre seine Stimme, die immer sagt: ‚Ich komme’:
Ich weiß, dass er eines Tages endlich kommen wird.“
Sie schwieg, und wie ein Echo von unten her,
Antwortend ihrem Pathos göttlicher Klage,
Nahm eine Stimme voller Zorn den schrecklichen Kehrreim auf,
Ein Donnergrollen oder Brüllen einer wütenden Bestie,
Der Bestie, die kauernd in den Tiefen des Menschen knurrt, –
Stimme eines gequälten Titanen, einstmals ein Gott.
„Ich bin der Mann der Schmerzen, ich bin er,
Der an das weite Kreuz des Universums genagelt ist;
Um meine Qualen zu genießen, hat Gott die Erde erbaut,
Meine Passion hat er zum Thema seines Dramas gemacht.
Er schickte mich nackt in seine bittere Welt
Und schlug mich mit seinen Ruten von Gram und Schmerz,
Auf dass ich schreie und ihm zu Füßen krieche
Und ihm Anbetung zolle mit meinem Blut und meinen Tränen.
Ich bin Prometheus unter dem Schnabel des Geiers,
Mensch, der Entdecker des unvergänglichen Feuers,
Wie ein Falter brennend in der Flamme, die er entfachte,
Ich bin der Sucher, der niemals finden kann,
Ich bin der Kämpfer, der niemals gewinnen kann,
Ich bin der Läufer, der nie sein Ziel erreicht:
Hölle quält mich mit der Schneide meines Denkens,
Himmel quält mich mit dem Glanz meiner Träume.
Was bringt mir meine tierische Geburt;
Was bringt mir meine menschliche Seele?
Ich schufte wie das Tier, sterbe wie das Tier.
Ich bin Mensch der Aufständische, Mensch der hilflose Knecht;
Schicksal und Mitmenschen prellen mich um meinen Lohn.
Ich löse mit meinem Blut das Siegel der Knechtschaft
Und stoße von meinem wehen Nacken das Knie des Unterdrückers
Nur um mir neue Tyrannen aufzuladen:
Meine Lehrer unterweisen mich in Sklaverei,
Man zeigt mir Gottes Stempel und meine eigene Unterschrift
Auf dem traurigen Vertrag meines Schicksals.
Ich liebte, doch mich liebt niemand seit der Geburt;
Die Frucht meiner Werke wird in andere Hände gelegt.
Alles, was mir geblieben ist, sind meine bösen Gedanken,
Mein schäbiger Streit mit Gott und Mensch,
Neid auf Reichtum, den ich nicht teilen kann,
Hass auf ein Glück, das nicht das meine ist.
Ich weiß, mein Schicksal wird stets dasselbe sein,
Es ist das Werk meiner Natur, die sich nicht ändern kann:
Ich liebte um meinet-, nicht des Geliebten willen,
Ich lebte für mich, für das Leben anderer nie.
Ein jeder besteht für sich allein durch das Gesetz der Natur.
So hat Gott seine harte und schreckliche Welt gemacht,
So hat er das armselige Herz des Menschen geschaffen.
Nur mit Gewalt und List kann der Mensch überleben:
Denn Mitleid ist eine Schwäche in seiner Brust,
Seine Güte ist eine mangelnde Festigkeit in den Nerven,
Seine Freundlichkeit eine Investition auf Gewinn,
Seine Selbstlosigkeit ist das andere Gesicht des Egos:
Er dient der Welt, damit die Welt ihm zu Diensten sei.
Könnte doch einmal die Kraft des Titanen in mir erwachen,
Könnte Enceladus vom Ätna sich erheben,
Dann würde ich als Herr der Welt regieren
Und wie ein Gott des Menschen Glück und Schmerz genießen.
Doch Gott hat mir die uralte Kraft weggenommen.
Da ist eine dumpfe Zustimmung in meinem lustlosen Herzen,
Ein wildes Ergötzen an meinen besonderen Qualen,
Als ob sie mich größer machten als meine Art;
Einzig durch Leiden kann ich hervorragen.
Ich bin das Opfer titanischer Übel,
Ich bin der Täter dämonischer Taten;
Ich ward geschaffen für Böses, Böses ist mein Los;
Böse muss ich sein und vom Bösen leben;
Nichts anderes kann ich tun als ich selber sein;
So wie die Natur mich schuf, so muss ich bleiben.
Ich leide und schufte und weine; ich stöhne und hasse.“
Und Savitri hörte die Stimme, vernahm das Echo,
Und sich ihrem Wesen des Mitleids zuwendend sprach sie:
„Madonna des Leidens, Mutter göttlichen Kummers,
Du bist ein Teil meiner Seele, ausgesandt,
Das unerträgliche Leid der Welt zu tragen.
Weil du bist, ergeben die Menschen sich nicht ihrem Verhängnis,
Sondern verlangen nach Glück und ringen mit Schicksal;
Weil du bist, kann auch der Ärmste noch hoffen.
Doch dein ist die Macht zu trösten, nicht zu retten.
Eines Tages werde ich zurückkehren, eine Überbringerin der Stärke,
Und dich aus dem Kelch des Ewigen trinken lassen;
Seine Kraftströme werden in deinen Gliedern triumphieren
Und der Weisheit Ruhe dein inbrünstig Herz beherrschen.
Deine Liebe wird das Band der Menschheit sein,
Mitgefühl der helle Schlüssel zu den Taten der Natur:
Elend wird weichen, abgeschafft von der Erde;
Die Welt wird befreit sein vom Zorn der Bestie,
Von der Grausamkeit des Titanen und seiner Pein.
Es wird Friede und Freude herrschen bis in alle Ewigkeit.“
Weiter ging sie auf der aufwärts gerichteten Route ihres Geistes.
Eine glühende Pracht stieg zwischen Farnen und Felsen empor,
Ein leiser Wind umschmeichelte das Herz mit Wärme,
Einen zarten Duft verströmten schlanke Bäume.
Alles wuchs schön, fein und hoch und seltsam.
Hier auf einem Felsblock, gemeißelt wie ein riesiger Thron,
Saß eine Frau in Gold- und Purpurglanz,
Bewehrt mit dem Dreizack und dem Donnerkeil,
Ihre Füße auf dem Rücken eines liegenden Löwen.
Ein ehrfürchtiges Lächeln umspielte ihre Lippen,
Himmelsfeuer lachte in ihren Augenwinkeln;
Ihr Körper eine Masse an Mut und himmlischer Stärke,
Sie bedrohte den Triumph der niederen Götter.
Ein Strahlenkranz aus Blitzen flammte um ihr Haupt
Und Herrschertum, ein großer Gürtel, zonierte ihr Gewand
Und bei ihr saßen Hoheit und Sieg,
Schützend auf dem weiten kosmischen Schlachtfeld
Gegen die flache Gleichmacherei des Todes
Und die alles nivellierende rebellische Nacht
Die Hierarchie der geordneten Mächte,
Die hohen unveränderlichen Werte, die hohen Würden,
Die privilegierte Aristokratie der Wahrheit,
Und in der Sonne des herrschenden Ideals
Das Triumvirat von Weisheit, Liebe und Seligkeit
Und die alleinige Autokratie des absoluten Lichtes.
Majestätisch auf ihrem Thron in der inneren Welt des Mentals,
Von da blickte die Mutter der Macht auf Vorübergehendes herab,
Lauschte dem vorwärtsrückenden Schritt der Zeit,
Sah die unaufhaltsame Fahrt der Sonnen
Und hörte den Donner von Gottes Marsch.
Inmitten der schwankenden Kräfte in ihrem Widerstreit
War souverän ihr Wort von lichtem Gebot,
Ihre Rede scholl wie ein Schlachtruf oder Pilgergesang.
Ein Zauber, der wieder Hoffnung in verzweifelnde Herzen bringt,
Erhob die Harmonie ihrer mächtigen Stimme:
„O Savitri, ich bin deine geheime Seele.
Ich kam hernieder in die Menschenwelt,
Die Bewegung, die ein schlaflos Auge überwacht,
Und die dunkle Widrigkeit der Erde Geschick
Und den Kampf der lichten und düsteren Mächte.
Ich stehe auf der Erde Pfaden voll Gefahr und Leid
Und helfe den Unglückseligen, rette die Verlorenen.
Den Starken bringe ich den Lohn ihrer Stärke,
Den Schwachen bringe ich die Rüstung meiner Kraft;
Den Menschen, die sich sehnen, bringe ich ihre begehrte Freude:
Ich bin das Glück, das die Großen und Weisen rechtfertigt
Durch das Lob und den Beifall der Menge
Und sie dann mit harter Ferse des Schicksals zertritt.
Mein Ohr ist dem Schrei der Unterdrückten zugeneigt,
Ich stürze den Thron der Tyrannenkönige:
Ein Schrei von geächtet und gehetzten Leben kommt,
Mich um Hilfe bittend gegen eine unbarmherzige Welt,
Eine Stimme der Ausgestoßenen und Verlassenen
Und des einsam Gefangenen in seiner Kerkerzelle.
Die Menschen grüßen in meinem Kommen die Kraft des Allmächtigen
Oder preisen mit dankerfüllten Tränen seine rettende Gnade.
Ich erschlage den Titanen, der rittlings auf der Welt sitzt,
Und töte den Oger in seiner blutbefleckten Höhle.
Ich bin Durga, Göttin der Stolzen und Starken,
Und Lakshmi, Königin der Holden und Glücklichen;
Kalis Antlitz trage ich, wenn ich töte,
Ich zertrample die Leichen der Dämonenhorden.
Ich bin von Gott beauftragt, sein mächtiges Werk zu tun,
Sorglos diene ich dem Willen von Dem, der mich entsandte,
Rücksichtslos gegenüber Gefahr und irdischer Konsequenz.
Ich denke nicht an Tugend und an Sünde
Sondern tue die Tat, die er in mein Herz gelegt hat.
Ich fürchte nicht das zornige Stirnrunzeln des Himmels,
Ich schrecke nicht zurück vor dem roten Ansturm der Hölle;
Ich zerschlage den Widerstand der Götter,
Zertrete eine Million koboldhafter Hindernisse.
Ich führe den Menschen auf den Pfad des Göttlichen
Und schütze ihn vor dem roten Wolf und der Schlange.
Ich gebe seiner sterblichen Hand mein himmlisches Schwert
Und lege ihm den Brustpanzer der Götter an.
Ich breche den unwissenden Stolz des menschlichen Mentals
Und führe das Denken in die Weite der Wahrheit;
Ich reiße des Menschen enges und erfolgreiches Leben in Stücke
Und zwinge seine sorgenvollen Augen, zur Sonne zu blicken,
Damit er der Erde stirbt und in seiner Seele lebt.
Ich kenne das Ziel, ich kenne die geheime Route;
Ich habe die Karte der unsichtbaren Welten studiert;
Ich bin das Haupt der Schlacht, der Stern der Reise.
Doch die große sture Welt widersetzt sich meinem Wort,
Und die Unehrlichkeit und das Böse im Herzen des Menschen
Ist stärker als die Vernunft, tiefer als die Fallgrube,
Und die Böswilligkeit der feindlichen Mächte
Stellt arglistig die Uhr der Bestimmung zurück
Und scheint mächtiger als der ewige Wille.
Das kosmische Böse sitzt zu tief, um es zu entwurzeln,
Das kosmische Leiden ist zu weit, um es zu heilen.
Einige wenige führe ich, die an mir vorbei zum Lichte gehen;
Einige wenige errette ich, die Masse fällt unerlöst zurück;
Einigen wenigen helfe ich, die meisten kämpfen und scheitern.
Doch verhärtet habe ich mein Herz und ich tue mein Werk:
Langsam nimmt das Licht im Osten zu,
Langsam schreitet die Welt auf Gottes Straße voran.
Meine Arbeit trägt sein Siegel, sie kann nicht scheitern:
Ich werde das silberne Aufschwingen der Himmelstore hören
Wenn Gott heraustritt, um die Seele der Welt zu treffen.“
Sie sprach, und aus der niederen menschlichen Welt
Kam Antwort, ein verzerrtes Echo erscholl auf ihre Rede;
Die Stimme gelangte her durch die Mentalräume
des Zwergtitanen, des entstellten geketteten Gottes,
Der danach strebt, den rebellischen Stoff seiner Natur zu meistern
Und das Universum zu seinem Instrument zu machen.
Das Ego dieser großen Welt der Begierde
Verlangte Erde und die weiten Himmel für den Gebrauch
Des Menschen, Haupt des Lebens, das auf Erden sie formt,
Ihr Abgeordneter und ihre bewusste Seele,
Und Symbol der Entfaltung von Licht und Kraft
Und Gefäß der Gottheit, die werden muss.
Ein denkendes Tier, der Natur ringender Herr,
Hat sie zu seiner Amme, Sklavin und zu seinem Werkzeug gemacht
Und zahlt an sie als Lohn und Vergütung
Unausweichlich durch ein tiefes Gesetz der Dinge
Mit seines Herzens Leid und seines Körpers Tod und Schmerz:
Seine Schmerzen sind ihr Mittel zum Wachsen, Sehen und Fühlen;
Sein Tod verhilft ihr zur Unsterblichkeit.
Werkzeug und Sklave seines eigenen Sklaven und Werkzeugs,
Preist er seinen freien Willen und seinen Meisterverstand
Und wird von ihr getrieben auf Wegen ihrer Wahl;
Besitzer, wird er besessen und, Herrscher, beherrscht,
Ihr bewusster Automat, Narr ihrer Begehren.
Seine Seele ist ihr Gast, ein Regent untätig, stumm,
Sein Körper ihr Roboter, sein Leben ihre Weise zu leben,
Sein bewusstes Mental ihr starker rebellischer Leibeigener.
Die Stimme erhob sich und erschlug eine innere Sonne.
„Ich bin der Erbe der Kräfte der Erde,
Allmählich verschaffe ich mir mein Recht auf mein Gut;
Als wachsende Gottheit in ihrem vergöttlichten Schlamm
Steige ich empor als Anwärter auf des Himmels Thron.
Der Letztgeborene der Erde, stehe ich zuvorderst;
Ihre trägen Jahrtausende harrten meiner Geburt.
Obgleich in der Zeit ich lebe, belagert vom Tod,
Unsicherer Besitzer meines Körpers und meiner Seele,
Hausend auf einem kleinen Fleck inmitten der Sterne,
Wurde das Universum für mich und meinen Nutzen geschaffen.
Unsterblicher Geist in vergänglichem Lehm,
Bin ich Gott, noch unentfaltet in menschlicher Form;
Auch wenn er nicht ist, wird er in mir.
Die Sonne und der Mond sind Lichter auf meinem Weg;
Luft ward erfunden für das Atmen meiner Lungen,
Angelegt als ein weiter und wandloser Raum
Dass bahne mein Flügelwagen sich einen Weg,
Das Meer ward gemacht für mich zum Schwimmen und Segeln
Und meinen goldnen Handel auf seinem Rücken zu tragen:
Es lacht, gespalten vom gleitenden Kiel meines Vergnügens,
Ich lache über sein schwarzes Starren von Schicksal und Tod.
Die Erde ist mein Boden, der Himmel das Dach meines Lebens.
Vorbereitet wurde alles über viele stille Zeitalter hinweg,
Gott stellte Versuche mit Tierformen an,
Erst dann, als alles soweit war, ward ich geboren.
Geboren ward ich schwach und klein und unwissend,
Ein hilflos Geschöpf inmitten einer schwierigen Welt,
Reisend durch meine kurzen Jahre mit dem Tod an meiner Seite;
Ich ward größer als Natur, weiser als Gott.
Ich habe das zustande gebracht, was nie sie erträumte,
Ich habe ihre Kräfte ergriffen und sie für mein Werk nutzbar gemacht,
Ich habe ihre Metalle geformt und neue Metalle geschaffen;
Aus Milch werde ich Glas und Kleider machen,
Eisen zu Samt, Wasser zu unzerbrechlichem Stein machen,
Werde gleich Gott mit seinem raffinierten künstlerischen Geschick
Aus einem Urplasma proteusartige Formen bilden,
Und vielfältiges Leben in einer einzigen Natur,
Alles, was Vorstellung sich ausmalen kann
In ungreifbarem Mental, werde neu formen ich
Im robusten und greifbaren Kunststoff der Materie.
Kein Zauber vermag die Kunst meiner Magie zu übertreffen.
Es gibt kein Wunder, das ich nicht zu vollbringen vermag.
Was Gott unfertig ließ, werde ich vollenden,
Aus einem wirren Mental und einer halbfertigen Seele
Werde ich seine Sünde und seinen Fehler beseitigen;
Was er noch nicht erfunden hat, werde ich erfinden:
Er war der erste Schöpfer, ich bin der letzte.
Ich habe die Atome gefunden, aus denen er die Welten baute:
Die erste gewaltige kosmische Energie
Wird springen, meine feindliche Sippe zu erschlagen,
Eine Nation zu vernichten oder eine Volksgruppe auszulöschen,
Des Todes Stille wird hinterlassen, wo Lachen und Freude war.
Oder das gespaltene Unsichtbare soll Gottes Kraft ausgeben,
Meinen Komfort zu vermehren und meinen Reichtum zu vergrößern,
Mein Automobil zu beschleunigen, das jetzt die Blitze antreiben,
Und die Motoren meiner Wunder zu drehen.
Ich werde ihm die Zaubermittel aus den Händen nehmen
Und mit ihnen Wunder tun, größer als seine besten.
Doch wahrte mein ausgewogenes Denken ich stets;
Ich habe mein Wesen studiert, ich habe die Welt erforscht,
Ich bin zu einem Meister in den Künsten des Lebens geworden.
Ich habe die wilde Bestie gezähmt, abgerichtet mein Freund zu sein;
Er bewacht mein Haus, blickt willfährig auf zu mir.
Ich habe meinesgleichen gelehrt, zu dienen und zu gehorchen.
Ich habe das Mysterium der kosmischen Wellen genutzt,
Um ferne Weite zu sehen und ferne Worte zu hören;
Ich habe den Weltraum erobert und die ganze Erde vernetzt.
Bald werde ich die Geheimnisse des Mentals kennen;
Ich spiele mit Wissen und Unwissen
Und Sünde und Tugend sind Erfindungen von mir,
Die ich überschreiten oder unumschränkt gebrauchen darf.
Ich werde mystische Wahrheiten erkennen, okkulte Mächte ergreifen.
Ich werde meine Feinde mit einem Blick oder Gedanken erschlagen,
Ich werde die unausgesprochenen Gefühle aller Herzen spüren
Und die verborgenen Gedanken der Menschen sehen und hören.
Ist die Erde beherrscht, werde ich den Himmel erobern;
Die Götter werden meine Gehilfen oder Dienerschaft sein,
Kein Wunsch, den ich hege, wird unerfüllt bleiben:
Allgewalt und Allwissen werden mein eigen sein.“
Und Savitri hörte die Stimme, hörte das verzerrte Echo
Und ihrem Wesen der Stärke zugewandt sprach sie:
„Madonna der Macht, Mutter der Werke und Kraft,
Du bist ein Teil meiner Seele, ausgesandt,
Der Menschheit beizustehen und die Mühsal der Zeit zu lindern.
Weil du in ihm bist, hofft und wagt der Mensch;
Weil du bist, können der Menschen Seele den Himmel erklimmen
Und wie Götter in der Gegenwart des Höchsten wandeln.
Doch ohne Weisheit gleicht die Macht dem Wind,
Sie kann auf den Höhen atmen und den Himmel küssen,
Sie kann nicht die äußersten ewigen Dinge erbauen.
Du konntest den Menschen Stärke geben, Weisheit nicht.
Eines Tages kehre ich zurück, eine Bringerin des Lichtes;
Dann werde ich dir den Spiegel Gottes geben;
Du wirst dich selbst und die Welt so sehen, wie er sie sieht,
Gespiegelt im hellen Teich deiner Seele.
Deine Weisheit wird so unermesslich sein wie deine Macht.
Dann wird Hass nicht mehr in Menschenherzen wohnen,
Angst und Schwäche werden der Menschen Leben verlassen,
Das Geschrei des Egos wird im Innern verstummen,
Sein Löwengebrüll, das die Welt als Futter verlangt,
Und alles wird Macht und Seligkeit und glückliche Kraft sein.“
Noch weiter aufsteigend, den Weg ihres Geistes nach oben,
Kam sie in einen hohen und freudvollen Raum,
Einer Warte der Schau, von der aus alles zu sehen
Und alles in einem einzigen Blick zentriert war,
Wie wenn durch Entfernung getrennte Landschaften eins werden
Und eine Harmonie aus widerstreitenden Farbtönen entsteht.
Der Wind war still und die Luft voll Wohlgeruch.
Da war ein Vogelgesang und ein Bienengesumm
Und alles, was einfach und natürlich und lieblich ist
Und doch so innig göttlich für Herz und Seele.
Eine Nähe zu seinem Ursprung verzückte den Geist
Und tiefste Dinge schienen offenkundig, nah und wahr zu sein.
Hier, lebendiges Zentrum dieser Vision des Friedens,
Saß eine Frau in klarem und kristallnem Licht:
Der Himmel hatte seinen Glanz in ihren Augen entschleiert,
Ihre Füße waren Mondstrahlen, ihr Gesicht war eine helle Sonne,
Ihr Lächeln konnte ein totes gebrochenes Herz dazu bewegen,
Wieder zu leben und die Hände der Ruhe zu fühlen.
Zu einer leis ertönenden Musik ward das Fluten ihrer Stimme:
„O Savitri, ich bin deine geheime Seele.
Zur wunden trostlosen Erde kam ich herab,
Um ihre Schmerzen zu heilen und ihr Herz zu besänftigen
Und ihr Haupt in den Schoß der Mutter zu legen,
Dass von Gott sie träume und seinen Frieden erfahre
Und ziehe die Harmonie der höheren Sphären
In den Rhythmus der Erde raue unruhige Tage.
Ich zeige ihr die Gestalten heller Götter
Und bringe Kraft und Trost in ihr mühseliges Leben;
Hohe Dinge, die jetzt nur Worte und Formen sind,
Offenbare ich ihr im Körper deren Macht.
Ich bin der Friede, der in des Menschen kriegsmüde Brust sich stiehlt,
Bin im Reich der Hölle, geschaffen von seinen Taten,
Eine Herberge, in der die Boten des Himmels weilen können;
Ich bin die Nächstenliebe mit den gütigen Händen, die segnen,
Ich bin die Stille inmitten des lärmenden Treibens des Lebens;
Ich bin die Wissensmacht, die ganz genau ihre kosmische Karte liest.
In den Widernatürlichkeiten des menschlichen Herzens,
Wo Gut und Böse enge Bettgenossen sind
Und Licht von Dunkelheit auf Schritt und Tritt verfolgt wird,
Wo sein weitestes Wissen ein Unwissen ist,
Bin ich die Macht, die zum Besten hinarbeitet
Und für Gott wirkt und zu den Höhen aufblickt.
Ich mache selbst Sünde und Irrtum zu Trittsteinen
Und alle Erfahrung zu einem langen Marsch hin zum Licht.
Aus dem Nichtbewussten baue ich Bewusstsein
Und führe durch Tod zu unsterblichem Leben hin.
Vielfältig sind die Formen Gottes, durch die er im Menschen wächst;
Sie prägen sein Denken und Tun mit Göttlichkeit,
Erhöhen das Erscheinungsbild menschlichen Lehms
Oder wandeln ihn allmählich in Himmels Gold.
Er ist das Gute, wofür Menschen kämpfen und sterben,
Er ist der Krieg von Recht gegen das Unrecht des Titanen;
Er ist die Freiheit, die todlos von ihrem Scheiterhaufen aufersteht;
Er ist der Heldenmut, der verzweifelt den Bergpass noch hält
Oder einsam und aufrecht auf dem zertrümmerten Schutzwall steht
Oder Wache hält in gefährlich hallender Nacht.
Er ist die Krone des in der Flamme verbrannten Märtyrers
Und die freudige Entsagung des Heiligen
Und Tapferkeit, die nicht kümmern Wunden der Zeit,
Und des Helden Macht, die mit Tod und Schicksal ringt.
Er ist die leibhaftige Weisheit auf einem glorreichen Thron
Und die ruhige Alleinherrschaft eines Weisen.
Er ist der hohe und einsame Gedanke,
Der sich von der unwissenden Menge abhebt:
Er ist die Stimme des Propheten, der Blick des Sehers.
Er ist Schönheit, Nektar der leidenschaftlichen Seele,
Er ist die Wahrheit, durch die der Geist lebt.
Er ist der Reichtum der spirituellen Weite,
Ausgegossen in heilenden Strömen auf das karge Leben;
Er ist Ewigkeit, von Stunde zu Stunde gelockt,
Er ist Unendlichkeit in einem kleinen Raum:
Er ist Unsterblichkeit in den Armen des Todes.
Diese Mächte bin ich, auf meinen Ruf hin kommen sie.
So bringe ich die Seele des Menschen langsam dem Lichte näher.
Doch an seinem Unwissen hängt das menschliche Mental
Und an seiner Kleinheit das menschliche Herz
Und an seinem Recht auf Kummer das irdische Leben.
Erst wenn Ewigkeit die Zeit an die Hand nimmt,
Erst wenn Unendlichkeit sich mit dem Denken des Endlichen vermählt,
Kann der Mensch frei von sich sein und leben mit Gott.
Ich bringe derweil die Götter auf die Erde;
Ich bringe dem verzweifelten Herzen Hoffnung wieder;
Ich schenke Frieden den Einfachen und den Großen,
Gieße meine Gnade auf den Narren und den Weisen.
Ich werde die Erde retten, willigt die Erde ein, gerettet zu werden.
Dann wird Liebe endlich unversehrt über der Erde Boden schreiten;
Des Menschen Mental wird die Souveränität der Wahrheit anerkennen
Und der Körper die gewaltige Herabkunft Gottes ertragen.“
Sie sprach, und aus der unwissenden niederen Ebene
Kam ein Schrei, ein verzerrtes Echo, nackt und schauerlich.
Eine Stimme des sinngefesselt menschlichen Mentals
Trug seine hochmütige Klage gottgleicher Macht vor,
Eingehegt durch die Schranken der Gedanken eines Sterblichen,
Gebunden in den Ketten irdischer Unwissenheit.
Der Sterbliche, gefangen in seinem Körper und seinem Gehirn,
Kann nicht die gewaltige Ganzheit Gottes sehen
Noch teilen die weite und tiefe Wesenseinheit mit ihm,
Der unerkannt in unseren unwissenden Herzen steht
Und alle Dinge kennt, weil er eins mit allem ist.
Nur die kosmischen Oberflächen sieht der Mensch.
Dann sich fragend, was vor den Sinnen verborgen liegen mag
Dringt er ein Stück weit in die Tiefen darunter vor:
Doch hört bald auf, den Kern des Lebens kann er nicht erreichen
Noch mit dem pochend Herz der Dinge kommunizieren.
Er sieht den nackten Leib der Wahrheit,
Obgleich oft verwirrt durch ihre endlosen Gewänder,
Doch ihre Seele innen gewahrt er nicht.
Dann, wahnsinnig erpicht auf ein absolutes Wissen,
Reißt er alle Teile heraus und bohrt und wühlt:
Nur die Inhaltsstoffe der Form behält er sich zum Gebrauch;
Der Geist entgeht ihm oder stirbt unter seinem Messer.
Er sieht als eine öde Strecke, eine riesige Wüste
Die wimmelnden Reichtümer der Unendlichkeit.
Das Endliche hat er zu seinem zentralen Feld gemacht,
Seinen Bauplan zerpflückt, meistert seine Prozesse,
Das, was alles bewegt, bleibt vor seinem Blick verborgen,
Das Ungesehene dahinter übersehen seine forschenden Augen.
Er hat das feine untrügliche Tasten eines blinden Menschen
Oder eines gemächlichen Wanderers Sicht auf ferne Landschaften;
Die enthüllenden Berührungen der Seele fehlen ihm.
Und doch wird er vom intuitiven Licht besucht
Und aus dem Unbekannten kommt Inspiration;
Aber nur Vernunft und Sinn sind für ihn etwas Zuverlässiges,
Nur sie sind ihm vertrauenswürdige Zeugen.
Deshalb ist er gehemmt, sein herrliches Bemühen umsonst;
Sein Wissen überprüft helle Kiesel am Strand
Des riesigen Ozeans seiner Unwissenheit.
Doch großartig waren die Akzente von jenem Schrei,
Ein kosmisches Pathos bebte in seinem Klang.
„Ich bin der mentale Geist von Gottes großer unwissender Welt,
Steigend gen Wissen auf Stufen, die er schuf;
Ich bin das allergründende Denken des Menschen.
Ich bin ein Gott, gebunden an Materie und Sinn,
Ein Tier, gefangen in einem Zaun aus Dornen,
Ein Arbeitstier, das nach seinem Futter verlangt,
Ein Schmied, an seinen Amboss und seine Esse gejocht.
Doch ich habe die Fesseln gelockert, meinen Raum erweitert.
Ich habe die Himmel kartographiert und die Sterne analysiert,
Beschrieb ihre Bahnen durch die Furchen des Raumes,
Habe die Meilen gemessen, die Sonnen voneinander trennen,
Errechnete ihre Lebensdauer in der Zeit.
Ich habe das Innere der Erde erforscht und zog
Die Reichtümer heraus, die ihr dunkler brauner Boden birgt.
Ich habe die Wandlungen ihrer Steinkruste klassifiziert
Und die Daten ihrer Biografie entdeckt,
Barg die Seiten des Planes der ganzen Natur.
Den Baum der Evolution habe ich skizziert,
Jeder Ast und Zweig und jedes Blatt an seinem Platz,
Spürte im Embryo dem Werdegang der Formen auf
Und klärte die Herkunft alles Lebendigen.
Ich habe Plasma und Zelle und Gen entdeckt,
Wies nach die Urtierchen, des Menschen Urahnen,
Die bescheidenen Stammformen, denen er entstieg;
Ich weiß, wie er geboren wird und wie er stirbt:
Bloß welchem Zweck er dient, weiß ich noch nicht,
Oder ob es überhaupt ein Ziel gibt, irgendein Ende
Oder Drängen von reich schöpferisch zweckdienlicher Freude
In den weiten Werken der irdischen Macht.
Ich habe ihre komplizierten Vorgänge erfasst, keinen ausgelassen:
Ihre gewaltige Maschinerie liegt in meinen Händen;
Ich nahm die kosmischen Energien mir zum Gebrauch.
Ich grübelte über ihre unendlich kleinen Elemente
Und habe ihre unsichtbaren Atome entlarvt:
Die ganze Materie ist ein Buch, das ich durchgegangen bin;
Nur einige Seiten sind jetzt noch zu lesen.
Ich habe die Wege des Lebens erkannt, die Pfade des Mentals;
Ich habe die Handlungsweisen von Affe und Ameise studiert
Und das Verhalten von Wurm und Mensch in Erfahrung gebracht.
Ist Gott am Werk, habe ich seine Geheimnisse gefunden.
Doch noch immer bleibt die Ursache der Dinge im Ungewissen,
Ihre Wahrheit flieht vor der Verfolgung in ein Leeres;
Ist alles erklärt, wird dennoch nichts gewusst.
Was den Vorgang wählte, woher die Macht entsprang,
Weiß ich nicht und werde es vielleicht nie wissen.
Ein Mysterium ist die Geburt dieser mächtigen Natur;
Ein Mysterium ist der schwer fassbare Strom des Mentals,
Ein Mysterium ist die proteische Monstrosität des Lebens.
Was ich erlernt habe, der Zufall widerlegt es im Sprung;
Was ich erbaut habe, das Schicksal packt und zerreißt es.
Ich kann die Wirkenskraft der Materie vorhersehen,
Nicht aber den Schicksalslauf des Menschen:
Er wird getrieben auf Pfaden, die nicht er sich wählte,
Er wird zermalmt unter den rollenden Rädern.
Meine großen Philosophien sind eine durchdachte Vermutung;
Die mystischen Himmel, die des Menschen Seele fordern,
Sind eine Scharlatanerie des wähnenden Gehirns:
Alles ist eine Spekulation oder ein Traum.
Letztlich wird die Welt selbst zum Zweifel:
Der Scherz des Winzigkleinen verlacht Masse und Form,
Ein Gelächter schallt aus der endlichen Maske des Unendlichen.
Vielleicht ist die Welt ein Irrtum unserer Sicht,
Ein Trick, der sich in jedem Sinnesblitz wiederholt,
Ein unwirkliches Mental halluziniert die Seele
Mit einer Zwangsschau von falscher Realität,
Oder ein Tanz von Maya verschleiert das leere Ungeborene.
Selbst wenn ich ein größeres Bewusstsein erlangen könnte,
Was bringt es dann dem Denken, zu gewinnen
Ein Wirkliches, das immer unausdrückbar bleibt,
Oder zu jagen bis zu seinem Schlupfwinkel das körperlose Selbst
Oder das Unerkennbare zum Ziel der Seele zu machen?
Nein, in meinen sterblichen Grenzen lass mich wirken,
Weder jenseits des Lebens leben noch jenseits des Mentals denken;
Unsere Kleinheit schützt uns vor dem Unendlichen.
In eine kalte Größe, einsam und verlassen,
Rufe mich nicht, um den großen ewigen Tod zu sterben,
Meiner eigenen Menschlichkeit ledig, ausgesetzt
Der eisigen Weite des Geistes Grenzenlosigkeit.
Beschränkt durch seine Natur lebt jedes Geschöpf,
Und wie kann man seinem ureigenen Schicksal entgehen?
Menschlich bin ich, menschlich lass mich bleiben
Bis ich in das Nichtbewusste verstummt entschlafe.
Ein hoher Irrsinn, ein Hirngespinst ist dies,
Zu denken, dass Gott im Lehm verborgen lebe
Und das ewige Wahrheit wohnen könne in der Zeit,
Und sie zu rufen, uns und die Welt zu retten.
Wie kann der Mensch göttlich und unsterblich werden,
Wandelnd den Stoff, aus dem er gemacht ist?
Dies mögen Zaubergötter träumen, denkende Menschen nicht.“
Und Savitri vernahm die Stimme, hörte die verzerrte Antwort
Und ihrem Wesen des Lichtes zugewandt sprach sie:
„Madonna des Lichtes, Mutter der Freude und des Friedens,
Du bist ein Teil meiner selbst, ausgesandt,
Den Geist zu seinen vergessenen Höhen zu erheben
Und die Seele durch die Berührungen der Himmel zu erwecken.
Weil du bist, nähert sich die Seele Gott;
Weil du bist, wächst Liebe trotz des Hasses
Und wandelt Wissen unversehrt im Abgrund der Nacht.
Doch nicht durch des Himmels goldnen Regenschauer
Auf den harten und felsigen Boden des Intellekts
Kann der Baum des Paradieses auf irdischem Boden erblühen
Und der Paradiesvogel auf den Zweigen des Lebens sitzen
Und die Winde des Paradieses sterbliche Luft aufsuchen.
Auch wenn du Strahlen der Intuition herniederregnen ließest,
Würde das Mental des Menschen sie für den Glanz der Erde halten,
Würde sein Geist durch ein spirituelles Ego versinken
Oder seine Seele träumen, eingesperrt in des Heiligsten hehren Zelle,
Wohin nur ein heller Schatten Gottes dringen kann.
Seinen Hunger nach dem Ewigen musst du nähren
Und sein sehnend Herz mit des Himmels Feuer füllen
Und Gott herniederbringen in seinen Körper und sein Leben.
Eines Tages kehre ich zurück, Seine Hand in meiner,
Und du wirst das Antlitz des Absoluten sehen.
Dann wird der heilige Bund geschlossen werden,
Dann wird die göttliche Familie geboren werden.
In allen Welten wird Licht und Friede sein.“
Ende des vierten Cantos